Im Feuilleton der FAZ stellte man neulich fest, dass im neuen Ikea-Katalog kaum Bücher zu sehen sind. (Ich verlinke den Artikel, falls er euch interessiert. Er ist allerdings nicht besonders lesenswert. FAZ-Feuilleton halt – aka der einzige Ort, an dem das Wort apodiktisch verwendet wird, und wo auch sonst der Pathos von den Zeilen trieft. Aber wie gesagt: Falls es euch interessiert. Übrigens hat nicht die FAZ selbst aufgedeckt, dass im Ikea-Katalog keine Bücher sind, sondern der Buchreport. Im Gegensatz zu der FAZ verlinke ich euch das auch. Servicekultur hooray!)
Das Bücherregal ohne Bücher
Als kritisch-neugieriger Mensch habe ich natürlich sofort den Ikea-Katalog geholt und nachgesehen: In der Tat, da sind relativ wenig Bücher drin, vor allem wenn man die Bezeichnung Bücherregal für einen offenen Stauraum sehr wörtlich nimmt und erwartet, dass Bücher drin stehen.
Ich lebe vollkommen ohne Bücherregal. Wir haben kein einziges im ganzen Haus. Wir brauchen keins. Wir haben nämlich so gut wie keine Bücher mehr.
Das Haus ohne Bücher
Keine Bücher? Eine Aussage, die Aufschreie auslöst! Ein Haus ohne Bücher sei ja undenkbar. Unwohnlich, ohne Bildung, ohne Wissen, ohne Geschichten. Da wird dann gerne Cicero zitiert – Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele. Und auch Hermann Hesse muss herhalten – Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Böden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken. Und dennoch bin ich froh, dass wir die Bücher los sind.
Natürlich haben wir nicht gar keine Bücher, aber sehr wenige. Die wenigen finden in meinem alten Buffetschrank im Arbeitszimmer Platz und einige sind als Coffee Table Books im Wohnzimmer präsentiert. Aber den Großteil unserer Bücher haben wir weggegeben – verkauft und verschenkt. Verkauft wurden vor allem Fachbücher, die teilweise trotz fortgeschrittenen Alters noch gutes Geld brachten; verschenkt haben wir alles Mögliche, vor allem an Freunde und Bekannte und den örtlichen Bücherschrank.
Der Brockhaus meiner Mutter
Ich fand quasi in einem Bereich meines Lebens zum Minimalismus – und Schuld daran ist der Brockhaus meiner Mutter. Der Brockhaus meiner Mutter umfasst 20 Bände und ist von 1966. Er steht seit jeher in einem raumhohen Bücherregal (randvoll) und belagert dort zwei große Regalfächer. Da der Brockhaus meiner Mutter von 1966 ist, ist so ziemlich keiner seiner Inhalte besonders relevant für die Lebenswelt im Jahr 2018. Vieles ist einfach falsch, gar nicht drin oder in seiner Ausdrucksweise mindestens bedenklich. Das raumhohe Bücherregal teilt sich der Brockhaus meiner Mutter mit unzähligen anderen Büchern, die irgendwann mal gelesen wurden, aber mindestens seit ich denken kann, an ein und derselben Stelle stehen. Besonders viel Wissen oder viele Geschichten können sie also nicht verbreiten. Ich rede also seit Jahren auf meine Mutter ein, dass sie die Bücher los werden soll, aber sie will nicht.* Und so stehen sie da und sind nichts als alte Bücher, die nur nicht weggegeben werden, weil man Bücher eben nicht weggibt.
Der Lese-Beweis
Diese Aussage hatte ich übrigens ziemlich lange verinnerlicht: Bücher gibt man nicht weg. Aber wieso eigentlich nicht? Einmal ausgelesen, sieht man die meisten kein zweites Mal an. (Ausnahmen bestätigen die Regel – sogar ich habe ja einige Bücher, die ich nicht hergeben will.) Irgendwann, vor ein paar Jahren, sprach ich mal mit Vanessa darüber und sie sagte einen Satz, der mir im Gedächtnis blieb: Wieso willst du denn die Bücher behalten? Musst du jemandem beweisen, dass du lesen kannst? Und recht hat sie. (Wie so oft.)
Der Gnadenstoß für alte Schinken
Ich habe in vielen Fällen keinen Grund, Bücher zu behalten. Weder sind sie für mich für das Wohlfühlklima wichtig noch möchte ich irgendjemandem beweisen, dass ich lesen kann. Also weg damit – und wenn ich mal wieder zweifle, denke ich an den Brockhaus meiner Mutter. Der tut mir nämlich noch viel mehr leid als die anderen alten Schinken. Einst Symbol des Wissens, heute nur noch eine raumstehlende Belanglosigkeit, die man ihm durch einen Gnadenstoß in den Altpapiercontainer ersparen könnte.
Kein Konsensthema
Ich weiß, dass das bestimmt kein Konsesthema ist. Für viele haben Cicero und Hesse recht und das ist auch okay. Ich wollte nur mal meine Perspektive bieten. Obwohl wir kaum Bücher haben, sind wir keine hirnlosen Barbaren. Im Gegenteil: Wir wissen sogar was apodiktisch bedeutet.
goodbye and fernwell,
Miriam
* recent events: Meine Nichte und mein Neffe haben wohl das Steuer in die Hand genommen und einige (viele?) von den Büchern verkauft. Ich war schon eine Weile nicht mehr vor Ort.
5 Comments
Ein Hoch auf den örtlichen Bücherschrank! Gelesene Prosa darf unter’s Volk, also wirklich.
(Hier im Haus werden jedoch z.B. Reiseführer aufgehoben. Lonely Planets, hübsch nebeneinander. Die „verwenden“ wir bei neuen Reisen zwar nicht noch einmal, erfreuen uns jedoch mit nostalgisch verklärtem Blick immer wieder daran.)
24. September 2018 at 12:41Wenn der nostalgisch verklärte Blick gut tut, ist das ja auch vollkommen richtig so.
24. September 2018 at 14:16Ha, der Post hätte eins zu eins von mir sein können – inkl. der Bücher deiner Mutter 🙂 Hier ganz genauso. Ich habe schon vor Jahren fast alle Bücher verkauft, verschenkt und gespendet. Und wenn ich jetzt etwas bestimmtes lesen möchte, leihe ich es aus oder lese es digital. Das ist super. Ich persönlich finde ja bunte Bücher in übervollen Schränken ganz, ganz gruselig. Aber wie du schon schreibst: jeder wie er mag 🙂 Ist ja super, dass man heute die Wahl hat, ohne aufs Lesen verzichten zu müssen…. LG
24. September 2018 at 12:00Also, ganz ehrlich: Unsere Bücher sind mit den Jahren auch immer weniger geworden.
23. September 2018 at 18:54Natürlich sieht ein Arbeitszimmer mit meterhohen Regalen, vollgestopft mit Lexika und literarischen Klassiker gut, gebildet und gediegen aus – aber ja, wem soll man da was beweisen?
Wir haben mittlerweile so viel abgegeben, dass unsere Regale (nicht so viele) ein bisschen leer aussehen, was mir wiederum auch nicht gefällt. Aber grundsätzlich sind Bücher auch nur Gegenstände. Wenn ich nicht emotional dran hänge oder mir gar nicht erst gefallen, dann kommen sie direkt weg.
Bücher zu besitzen, um seine Bildung zu beweisen, kommt mir in Zeiten des Internets und Ebooks doch ein bisschen albern vor. Gerade meine Fachbücher, die ja vielleicht am ehesten noch meine Bildung beweisen könnten, habe ich alle (teilweise wirklich sehr gut) verkauft, denn ich werde sie – sind wir mal ehrlich – nicht mehr brauchen. Dafür durften einige Bücher, z.B. aus meiner Kindheit, bleiben, die mir eben wichtig sind. Letzten Endes muss das jeder selbst entscheiden und wer sich inmitten seiner Bücher so richtig wohl fühlt, soll sie gern behalten.
23. September 2018 at 19:06